Naturwissenschaftler
1885-1962
Kausalität und Komplementarität
„Eine noch weiter gehende Revision des Beobachtungsproblems wurde indessen durch die Entdeckung des universellen Wirkungsquantums veranlasst, die uns darüber belehrt, dass die ganze Beschreibungsart der klassischen Physik mit Einschluss der Relativitätstheorie ihre Zweckmäßigkeit nur so lange beibehält, als alle in die Beschreibung eingehenden Wirkungen groß sind im Vergleich zum PLANCKschen Quantum. Wenn dies nicht der Fall ist, treten, wie im Bereich der Atomphysik, neuartige Gesetzmäßigkeiten auf, die im Rahmen einer Kausalbeschreibung nicht zusammengefasst werden können. Dieses zunächst paradox erscheinende Ergebnis findet indessen seine Aufklärung darin, dass auf diesem Gebiete nicht länger scharf unterschieden werden kann zwischen dem selbständigen Verhalten eines physikalischen Objekts und seiner Wechselwirkung mit anderen als Messinstrumente dienenden Körpern, die mit der Beobachtung unvermeidlich verknüpft ist und deren direkte Berücksichtigung nach dem Wesen des Beobachtungsbegriffs selbst ausgeschlossen ist.
Dieser Umstand stellt uns in der Tat vor eine in der Physik ganz neue Situation bezüglich der Analyse und Synthese von deren, die uns dazu zwingt, das Kausalitätsideal durch einen allgemeineren Gesichtspunkt zu ersetzen, den man „Komplementarität“ zu nennen pflegt. Die scheinbar miteinander unverträglichen Auskünfte über das Verhalten des Untersuchungsobjektes, die wir bei Benutzung verschiedener Messanordnungen bekommen, lassen sich nämlich offenbar nicht in gewöhnlicher Weise miteinander verbinden, sondern dürfen als komplementär zueinander bezeichnet werden.“
[121] Niels Bohr, Kausalität und Komplementarität, in Rudolf Carnap / Hans