„Von jeher stehen sich einander gegenüber die atomistische Auffassung, die sich das Kontinuum aus einzelne Punkten bestehend denkt, und eine andere, welche es für unmöglich hält, den stetigen Fluss auf diese Weise zu begreifen. Die erste hat ein begrifflich fassbares System seiender Elemente, aber sie vermag Bewegung und Wirkung nicht verständlich zu machen; alle Veränderungen muss sie zu Schein herabsinken lassen. Der zweiten will es in der Antike und bis zu Galilei nicht gelingen, sich aus der Sphäre vager Anschauung in die abstrakten Begriffe zu erheben, welche zur vernunftmäßigen Analysis der Wirklichkeit geeignet wären. Die schließlich errungene Lösung ist diejenige, deren mathematisch-systematische Gestalt die Differential- und Integralrechnung ist, die moderne Kritik der Analyse zerstört diese Lösung wieder von innen heraus, ohne dass freilich noch das Bewusstsein der alten philosophischen Probleme sonderlich lebendig geblieben ist und mündet in Chaos und Leersinn.“
[106] Hermann Weyl, Über die neue Grundlagenkrise der Mathematik, Mathematische Zeitschrift (1920: 39-79;10) S. 51